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Text Fontane im Havelland

Hannes Meinhardts letzte Fahrt 

von Heiko Hesse

Vorneweg


Viel wissen wir über Theodor Fontane, wenig aber wissen wir über die Gespräche, die er mit seinem Freund Carl Ferdinand Wiesike auf dem Margarethenhof führte. Einiges ahnen wir, wie viel Fontane noch über Brandenburg an der Havel und seine Umgebung schreiben wollte, aber im Grunde wissen wir nichts über die möglicherweise wahren Motive Fontane, die Ballade von John Maynard zu Papier zu bringen. Ist der Steuermann John Maynard wirklich reine Literatur?

1886 erschien Fontanes John-Maynard-Ballade. Die Forschung führt als Motiv eine wahre Schiffskatastrophe aus dem Jahre 1841 an, bei der hunderte Menschen auf dem Dampfer Erie auf der Fahrt nach Buffalo ums Leben kamen.

Für seine Betrachtungen über Plaue, das Schloss und seine Bewohner ist Carl Ferdinand Wiesike eine reiche Quelle gewesen. Entstammte er doch einer gebildeten, angesehenen Brandenburger Händler- und Verlegerfamilie. So nimmt es nicht Wunder, wenn Wiesike stets auf der Höhe der Zeit war und um die kleinen wie großen Geschehnisse in der Stadt und im Land wusste. Ganz gewiss teilte er sein Wissen mit seinem Berliner Freund Fontane. Und Zeit, sich auszutauschen, in stillen Stunden, unter vier Augen, die hatten diese Herren nun wahrlich genug.

Dies mag als Vorrede genügen, um sich gegen jedwede Schmähungen zu wappnen, die nun folgende Begebenheit sei aus der Luft gegriffen. Überhaupt: Nur weil etwas bislang weder gründlich erforscht noch wissenschaftlich belegt worden ist, heißt es nicht, dass es das nicht gegeben hat.


Vielleicht trug es sich so zu


Und so mag an einem dieser milden Sommerabende der späten 70er Jahre des 19. Jahrhunderts gewesen sein, als sich die Herren Fontane und Wiesike nach einem guten Mahl an das Ufer des Plauer Sees setzten, die vorüberziehenden Lastkähne beobachteten und ihren Gedanken nachhingen. Solche Stimmung mag die richtige gewesen sein, in der Wiesike seinem Freund von einer alten Geschichte berichtete, von der ihm einst jemand sagte, so und nicht anders habe sie sich auf dem Plauer See zugetragen, als dieser noch größer und rauer war als jetzt.

„In Briest“, hob Wiesike an und wies mit dem rechten Arm ausladend nach Norden zu, „war einmal ein Müller mit einer wunderschönen Tochter“. Da es als verbrieft gilt, dass Fontane ein offenes Ohr für solche Geschichten hatte, dürfte er aufmerksam gelauscht haben.

Wie es so war, umschwirrten die jungen Burschen aus Briest und drumherum die holde Maid wie die Motten das Licht. Auch gab es angesehene Herren wie den Dorfschulzen, die den Müller um die Hand der Maid baten, die sie an ihre Söhne weiterreichen wollten. Des Müllers Tochter galt jedem als Zierde eines Haushaltes.

Doch mochte jeder werben, wie er wollte, allein er kam nicht ans Ziel. Der Müller nämlich hatte sich geschworen, seinem Kind eine goldene Brücke in ein Leben des Wohlstandes zu bauen. Schulzen- oder Seiler- oder Fischersöhne waren dafür nicht gut genug. Angemessenen Wohlstand versprachen in seinen Augen einzig die Kaufleute aus den Städten Brandenburg.

So brachte der Müller die freie Zeit, die ihm sein Gewerk ließ, damit zu, in der Alten und in der Neuen Stadt Brandenburg nach erfolgreichen Händlern Ausschau zu halten. An dieser Stelle dürfte sich Fontane notiert haben, bei Gelegenheit tiefer in die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse dieser einst größten und wohlhabendsten Städte der Mark einzutauchen.

Vielleicht fragte er auch: „Und was sagte das Mädchen dazu?“ Wiesike hat bestimmt traurig den Kopf geschüttelt: „Als ob die Maid hätte wählen können.“ Fontane wusste nur zu gut, dass nicht einmal die Kinder aus gutem Hause frei ihrem Herzen folgen konnten.

„Gleichwohl“, fuhr Wiesike fort und Fontane merkte auf, „sie hatte einen Liebsten und sich diesem auch offenbart“. Ein guter, fleißiger, wahrhaft redlicher junger Mann soll es gewesen sein. Mochte sie über die Maßen lieb haben, war dieser Bursche für den Müller nicht die rechte Partie. Fleiß allein zählte für den Müller nicht, wenn am Ende eines harten Arbeitstages nicht viele Taler im Beutel klingelten.

Jede Gelegenheit, die ihnen ein kleines Dorf und ein hartes, arbeitsreiches Leben bot, wussten die holde Maid und der junge Fischer zu nutzen. „Wie er wohl hieß“, könnte Fontane bemerkt haben. „Die, die mir davon berichtete, meinte, er habe Hannes Meinhardt geheißen“, dürfte Wiesike erzählt haben. Fontane quittierte das mit einem Gesichtsausdruck, der soviel sagt wie: Gefällt mir, muss ich mir merken.

Nun kam der Tag, an dem der Müller von einer Fahrt aus der Neustadt Brandenburg heimkehrte, die Familie zusammenrief und stolz verkündete, er habe den geeigneten Gemahl für seine Tochter gefunden. Derweil dem Mädchen die Sinne zu schwinden drohten, berichtete der Müller von dem ältesten Sohn eines überaus begüterten Kaufmanns aus der Neustadt, der in einem imposanten Steinhaus wohne, ein großes Geschäft führe, über reichlich Gesinde verfüge und immer gut zu essen habe. Als das mag die charakterlichen Makel aufwiegen, die es dem Jüngling schwer machten, in der Neustadt unter Seinesgleichen ein passendes Weib zu finden.

Große Trauer überfiel die Maid. Noch in der nächsten Nacht stahl sie sich heimlich zu ihrem Liebsten. Weinend lagen sie sich in den Armen, wussten sie doch, dass keine Macht auf dieser Welt sie nun noch zueinander führen könnte.

Als der Morgen graute, nahm sie ihn bei der Hand und sprach: „Lass uns gemeinsam in den Fluss gehen. Wenn wir auf Erden nicht zusammen sein dürfen, soll es uns vielleicht in einer anderen Welt vergönnt sein.“ Doch der Jüngling erschrak. Sich selbst zu richten, war Sünde. Und aus Bösem würde nie Gutes erwachsen, so hatte er es gelernt und beherzigte es. „Lass uns auf ein Wunder hoffen“, sprach er.

Doch die Zeit verstrich und das Wunder kehrte in Briest nicht ein. Im Sommer nun sollte Hochzeit in der Neustadt. Wenige Tage vor dem großen Fest, so war es ausgemacht zwischen den Familien, sollte die Maid nach Brandenburg gebracht werden, um ordentlich gewandet und vorbereitet zu werden. Sollte sich doch niemand das Maul zerreißen, dass der Kaufmannssohn ein armes Mädchen vom Dorfe zum Altar führe.

Nun wurde jeder Tag für die Liebenden teuer. Jeder Moment der Zweisamkeit war wie ein Blick in die Ewigkeit. Die Hoffnung auf ein Wunder hatten sie fahren gelassen.

Doch es sollte die beiden noch ärger treffen. Der Müller hatte nämlich dem alten Fischer Meinhardt gutes Geld geboten, wenn dessen Sohn Hannes die Müllertochter mit dem Fischerkahn nach Brandenburg bringe. Um sich für die Fahrt über den See und die Havel hinauf Gottes Segen gewiss zu sein, sollte der Briester Pfarrer dabei sein. Der alte Fischer freute sich wohl über den guten Lohn und wies seinen Jungen an, den Kahn für den nächsten Tag vorzubereiten. Am Morgen sollte die Fahrt beginnen.

Bestimmt ist Wiesike nun aufgestanden und hat den Blick über den Plauer See schweifen lassen. „Hier müssten sie vorbei gekommen sein“, hat er bestimmt gesagt und mit einer Handbewegung den Weg von Havel am Schloss vorbei über den See nach Südosten beschrieben.

Spätestens jetzt dürfte Fontane erkannt haben, dass der Plauer See zusammen mit dem Möserschen, Quenz- und Breitlingsee zu den größten Gewässern der Mark gehört. „Wie lange diese Überfahrt damals wohl gedauert hat?“, wird der Gast gefragt haben. 

Doch Wiesike war wieder in der Geschichte und beschrieb, wie sich Hannes Meinhardt am Boot zu schaffen machte, Stangen und Netze heraus nahm und Plätze für Passagiere bereitete. „Da kam ein Fremder daher und fragte Hannes nach dem Weg zum nächsten Krug“, berichtete Wiesike.

Der Fremde soll sonderbar gewandet gewesen, wie einer, den man nicht alle Tage zu Gesicht bekommt. So wollte denn der junge Fischer von dem Fremden wissen, woher er komme und wohin es gehe und was ihm seine Neugierde sonst noch abverlangte. So und so sei es, berichtete der Fremde, und wie er geendet hatte, fiel ihm auf, dass der Jüngling alles Fischerzeug aus dem Kahn holte.

„Morgen muss ich Fährmann sein“, berichtete Hannes. Wie der Fremde nun nach der Fracht fragte, legte sich ein Trauermantel über den Jüngling. Der Fremde drang weiter in ihn, und so öffnete sich Hannes Meinhardt und klagte sein Leid. Der Fremde sann eine Weile darüber und sprach: „Komm zur Abendstunde in den Krug und bringe den Pfarrer mit. Sage ihm, Du willst mit ihm auf das Gelingen der großen Fahrt anstoßen. Ich denke, ich weiß, wie es gelingen kann, Dein und das Herz Deiner Liebsten zu retten. Aber sprich mit niemanden darüber, was ich Dir jetzt und später rate.“

Gewiss unterbrach Fontane Wiesikes Rede: „Der Fremde war bestimmt kein anderer als der Teufel.“ Als Wiesike die Stirn fragend in Falten legte, fuhr Fontane fort: „Diese Sagen gibt es doch zu Hauf. Ein Mensch ist in Not. Weil Gott seine Gebete nicht erhört, ruft er den Teufel an, oder der Teufel kommt von allein. Dafür muss jemand dem Bösen seine Seele geben und so weiter und so fort.“ Doch Wiesike schüttelte den Kopf: „Nein, nein, mein guter Freund, so hat man mir die Geschichte nicht zugetragen.“

Am Abend nun, berichtete Wiesike, führte der Jüngling den Pfarrer in den Krug. Kaum hatten sie Platz genommen und den ersten Becher auf das Gelingen der Überfahrt gelehrt, da gesellte sich der Fremde zu ihnen. Allerlei aus der Welt wusste er zu berichten und schenkte ihnen munter frisch ein. Der Pfarrer, ein gemütlicher Mensch, war dem Bier und Wein recht zugetan. Und weil es ihm so gut mundete, ließ er den Fremden immer aufs Neue nachschenken. Dass der Fremde kaum selbst aus seinem Becher trank und der junge Fischer bald verschwunden war, das fiel dem Geistlichen nicht auf. Immer neue Geschichten hatte der Fremde zu berichten und suchte den Disput mit dem Pfarrer, stets bedacht, ihm eher nach dem Munde zu reden.

So ging die Nacht dahin und sollte bald der Morgen anbrechen. Längst hatten die anderen Gäste den Krug verlassen und drängte der Schenk, er wolle schließen. Doch waren der Pfarrer und der Fremde so gut im Gespräch und beherzt beim Trunke, dass sie sich nicht unterbrechen ließen.

Erst der Müller war es, der am Morgen in den Krug trat, dem Disputieren ein Ende bereitete und den Geistlichen an seine heilige Aufgabe gemahnte, die er gleich zu erfüllen habe.

Der reichlich betrunkene Pfarrer brauchte eine Weile, bis er verstand, wovon der Müller sprach. Doch als dieser deutliche Worte verlor, kehrte die Erinnerung zurück. Als der Pfarrer nun erklären wollte, dass er mit einem gebildeten Fremden debattiert habe, war dieser verschwunden.

Mit Hilfe des Müllers gelang es, den Pfarrer in das Boot zu bekommen. Die Maid und der junge Bursche warteten schon. Am Steg standen der Müller, sein Weib und viele andere, die der Maid eine gesegnete Überfahrt wünschten. Der Pfarrer murmelte ein paar fromme Worte, die ob seines vom Trunke getrübten Zustandes keiner richtig verstand.

In wenigen Tagen, wenn Hochzeit sei, würden die Eltern bei ihr sein. So legte Hannes Meinhardt ab und ruderte den Kahn die Havel hinauf. Der Pfarrer war in sich versunken und bald eingeschlafen.

Von Westen her waren dunkle Wolken aufgezogen, dunkler wurde es am Himmel. Wie das Boot auf den Plauer See kam und sich mehr und mehr vom Land entfernte, grollte und donnerte es in der Ferne. Blitze zuckten. Regen kam auf. Nun wurde der Pfarrer wach, schaute verwirrt um sich.

Das schwere Wetter machte ihm Sorgen. Ebenso bereitete es ihm Unbehagen, dass der Wind den See aufwühlte und das Boot auf den Wellen tanzen ließ. Der übermäßige Genuss von Bier und Wein forderte seinen Tribut. Dem Pfarrer ward übel.

Auch der Maid war es nicht geheuer. Sie bat den Pfarrer, mit Gebeten das Wetter zu besänftigen. Doch war ihr der Geistliche kein Beistand. „He, Hannes Meinhardt, hälst Du den Kurs?“, rief er ihm zu. Der Bursche schaute unverwandt nach vorn: „Ja Herr, ich halt.“

Heftiger wirbelte der Wind, dichter fiel der Regen, das Krachen des Gewitters war ohrenbetäubend, die Blitze rasten am Boot vorbei. Um sie herum kochte der See, nirgendwo war Land in Sicht.

Eine Welle ließ das Boot besonders heftig tanzen. So heftig, dass den Pfarrer die große Übelkeit befiel. Eben noch konnte er sich über Bord beugen, da spie es aus ihm heraus. Wieder und wieder gab er Verzehrtes preis.

Da schrie die Maid: „Feuer!“ Entsetzt wandte sich der Pfarrer um und sah, wie die Flammen, die das Holz fraßen. Doch schlimmer noch wütete es in ihm, und so warf er sich zurück und würgte neuerlich. Der Trunk hatte ihn immer noch in seiner Gewalt, raubte ihm die Sinne.

Doch vernahm er deutlich das Rufen der Maid und das Knistern des Feuers. „He, Hannes Meinhardt, hälst Du Kurs?“, rief er. „Ja, Herr, ich halt“, schallte es zurück. Der Rauch hatte den Jüngling am Ruder verhüllt.

Mit den Händen versuchte der Pfarrer Wasser aus dem See zu schöpfen und das Feuer zu löschen. Doch es war vergebens. Bald war auch er vom Rauch verhüllt und verlor er die Besinnung.

Wie der Pfarrer erwachte, standen Leute um ihn herum. Er war an Land. „Wo bin ich?“, fragte er. „Dicht bei Wendgräben“, erwiderte einer, „nahe an der Buckau-Mündung in den Breitlingsee“. Der Pfarrer sah sich um und erschrak. Vom Boot war nur ein verkohlter Rest geblieben. „Wo sind die anderen?“ Die Umstehenden sahen ihn fragend an. „Ward Ihr nicht allein?“ Von einem Fährmann und einer jungen Frau fanden sich keine Spuren.

 

Nachspiel


Fontane sah Wiesike an: „Dramatisch, furchtbar, meine Güte, nun sind die jungen Leute doch im Tode vereint. Und wenn der junge Mann nicht so eisern das Ruder gehalten hätte, wäre auch der Pfarrer ums Leben bekommen“. Wiesike lächelte und schüttelte den Kopf. Fontane stutzte: „War es nicht so?“ Wiesike setzte an: „Heute würde die Polizei so einen Fall mit Sicherheit gründlich untersuchen und hätte bestimmt ein paar seltsame Entdeckungen im Boot gemacht, vielleicht auch die Fußspuren in der Nähe entdeckt.“

Doch Fontane ließ nicht locker, wenn man davon ausgeht, dass er ernsthaft recherchiert hat, und davon konnte man bei Fontane ja ausgehen. „Die alte Frau“, sprach Wiesike, „von der ich diese Geschichte habe, erzählte, dass nach Ableben des Müllers und dessen Weib eine Frau nach Briest kam und sich als die vermisste Braut zu erkennen gab. Meinhardt habe sie mit Nachnamen geheißen und nach der Flucht von dem Boot, das sie mit Hilfe ihres Liebsten in Brand gesetzt hatte, ein schönes Leben in Möser geführt.“

Ach, Unfug“, erwiderte Fontane, „das gefällt mir gar nicht. Ich finde die Geschichte ohne dieses kitschige Ende besser“. Weil es inzwischen dunkel und etwas frisch geworden war, drängte Carl Ferdinand Wiesike darauf, zurück ins Haus zu gehen und meinte noch: „Die Zeit wird zeigen, was daraus wird. Ich wüsste nur zu gern, wer dieser seltsame Fremde war.“ Theodor Fontane winkte ab: „Jedenfalls nicht der Teufel, denn er hat ja keine Seele bekommen.“

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